MEHR ALS PALIO Wie die Schleppe eines Abendkleids fächert sich die Piazza del Campo zu Füßen des Torre del Mangia auf. Der 102 Meter hohe Turm ist das Wahrzeichen Sienas. Er ist Teil des Palazzo Publico, der seit vielen Jahrhunderten das Rat- haus der Stadt beherbergt. Frühmorgens ist es auf dem Hauptplatz der Altstadt so still, dass man den Flügelschlag jeder Taube zu hören scheint. Erst gegen 9 Uhr erwacht das Leben um die Piazza, die zu den schönsten öffentlichen Räu- men der Welt zählt. Kellner bestuhlen die Außengastronomie, es duftet nach frischem Brot und Mandelgebäck, selbst nach Tomatensugo. Wie an jedem Tag werden bis zur Mittagszeit Touristen wie Senesi aus allen Richtungen auf den Hauptplatz strömen. Dessen Sandstein- boden ist warm vom Sonnenlicht. Hier lässt es sich ohne Stuhl und Polster wohlig sitzen. Der halbrunde Platz er- laubt aus jeder Position eine gute Sicht, fast wie in einem Amphitheater. Hier pausiert ein Pärchen mit Gelati, dort diskutieren Studenten hinter aufge- klappten Laptops und vor dem Brunnen der Freude, dem Fonte Gaia, schart sich eine Gruppe Touristen um ihre Reise- leitung. Eine bunte Mischung Mensch trifft sich auf dem Campo, um den sich altehrwürdige Stadthäuser reihen. In deren unteren Etagen haben Cafés und Restaurants eine Heimat. Besucht wer- den sie zumeist von Gästen der Stadt. Einheimische lunchen in zweiter Reihe, beißen in Ciabatta mit Wildschwein- fl eisch, löffeln Ribollita-Suppe oder picken Pici-Pasta. Danach gönnen sie sich einen Panforte-Kuchen zum Café, am besten aus dem Hause Nannini. Wie die Jahresringe eines Baums um- schließen unzählige Gassen der Altstadt den Campo. Kleine Treppenabgänge erlauben schnelles Auf- oder Absteigen zur jeweils nächsten. Hübsche Läden mit Kunsthandwerk sind dort zu fi nden, wie sie sonst kaum mehr existieren. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Altstadt Sienas komplett autofrei. Nur zweimal in jedem Jahr, am 2. Juli und am 16. Au- gust, ist sie – insbesondere die Piazza del Campo – übervoll mit Menschen. Dann, wenn sich Ross und Reiter aller 17 Stadtviertel beim Palio messen, dem wohl härtesten Pferderennen der Welt. Im Herbst bietet die Stadt mehr Ruhe. Es ist die ideale Zeit, um zu bummeln, zu shoppen oder den Duomo di Siena zu besichtigen. Er gilt als einer der be- deutendsten Beispiele gotischer Archi- tektur. Seine Fassade zeigt die charak- teristisch dunkelgrün-weißen Streifen. Intarsien aus Marmor bedecken seine Böden. Die darauf dargestellten Bibel- geschichten sind die Comics ihrer Zeit. 1229 wurde mit seinem Bau begonnen, 1313 der Glockenturm fertiggestellt, danach das riesige Querschiff in Angriff genommen. Es blieb unvollständig. Seine Fassade, den Facciatone, kann man vom Museum aus besteigen. Eine lohnende Anstrengung. Von oben blickt man auf unzählige Dachterrassen, über Giebel und Campi hinweg bis zu den sanften Hügeln der Toskana, die sich wie ein grüner Gürtel um die Stadt legen. Ein fruchtbarer Gürtel. Siena ist umgeben von bekannten Weinregionen wie Chianti, Brunello und Montepulcia- no. Die gut 55.000 Senesi pfl egen eine lebendige Kultur innerhalb der alten Mauern, deren Grundstein die Etrusker gelegt haben. Im Mittelalter war Siena eine mächtige Republik und der große Rivale des nördlicheren Florenz. Die politische Macht von einst ging ver- loren, nicht aber die Anziehungskraft Sienas, das immer eine Reise wert ist. Agathe Paglia stÄDtE tIPPs DEr aUtOrIn Über den Dächern von Siena Von der Facciatone (Fassa- denmauer) der Kathedrale über Siena zu blicken, ist magisch. Dieses spezielle Erlebnis ist im Opa Si Pass enthalten, auch der Blick in Dom, Piccolomini-Bibliothek und Krypta wie Museum und Baptisterium. Invest: ab 16 Euro p.P.. Anbie- ter: opasiena@musement.com Ein Traum aus Mandeln Das traditionelle Mandelge- bäck Ricciarelli von Il Magnifi - co ist zum Niederknien. Ein Mitbringsel der feinen Sorte, auch perfekt zum heimischen Espresso. ilmagnifi co.siena.it/ Ein großer Name Seit mehr als hundert Jahren ist das Nannini in der Via Ban- chi di Sopra eine Institution in Siena. Die Produktpalette ist riesig, der Kaffee aus selbst- gerösteten Bohnen gebrüht. Geführt wird der Betrieb von Alessandro, Bruder der Rockröhre Gianna und einst erfolgreicher Rennfahrer. nanninidolciecaffe.com/ Gut geparkt ist halb gechillt Wer Siena mit dem PKW besucht, sollte bei der Universität Siena an der Porta Romana kostengünstig parken. Von dort aus ist man schnell in der Altstadt und zu Fuß in nur zehn Minuten am Piazza del Campo. Nicht unwichtig für jene mit großer Bummelbeute. a i l g a P e h t a g A : r e d l i B d n u t x e T www.abenteuer-magazine.de | 33